Im Juni habe ich sechs Bücher und eine Zeitschrift gelesen; bei dieser handelte es sich um eine Ausgabe des ZEIT Magazins Geschichte, die Thomas Mann gewidmet war.
Insgesamt waren es fünf Sachbücher und ein Roman, eher eine Novelle, geschrieben von fünf Männern und - die Novelle - einer Frau. Die Novelle ist eine Übersetzung aus dem Französischen, alle anderen Bücher wurden auf Deutsch verfaßt.
Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Bücher:
Das aufgeklärte Berlin
Michael Bienert, Das aufgeklärte Berlin, 160 Seiten.
Eine lesenswerte Kombination von Stadtrundgang, biographischen Skizzen sowie geistes- und kulturgeschichtlichen Episoden.
Marx
Iring Fetscher, Marx. Eine Einführung, 159 Seiten.
Fetscher läßt die Texte sprechen und macht sie zum Gerüst seiner Darstellung von Leben, Auffassungen und Werk von Karl Marx.
Die Gouvernanten
Annes Serre, Die Gouvernanten, 92 Seiten.
Was für ein Buch! Anspielungsreich, lustgesättigt, märchenhaft — zwischen Fiebertraum und melancholischer Leere oszillierend, voller Poesie und Farbsymbolik.
Qui n’a pas vécu dans les années voisines de 1780 n’a pas connu le plaisir de vivre. (Charles Maurice de Talleyrand Périgord)
Die Zeit der Erzählung ist nicht eindeutig auszumachen. Die Herrschaft fährt einen langen Wagen, das deutet auf ein Automobil hin, vieles andere weist ins 19., vielleicht sogar ins 18. Jahrhundert. In jedem Fall wirkte die Novelle auf mich sehr französisch.
Herman Bang
Lothar Müller, Herman Bang, 87 Seiten.
Im bewährten Format der Reihe Leben in Bildern erschienene Biographie des dänischen Décadence-Autors Herman Bang; informativ und stimmungsvoll zugleich.
Christoph Martin Wieland
Peter-Hening Haischer, Christoph Martin Wieland, 152 Seiten
Modern gestaltete, reich bebilderte und hoch informative Biographie des größten deutschen Schriftstellers vor Goethe.
Höhenrausch
Harald Jähner, Höhenrausch. Das kurze Leben zwischen den Kriegen, 557 Seiten
Das Buch ist gut geschrieben, bringt viele Informationen, zeigt große Linien und viele Details der Politik-, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte gleichermaßen. Es nimmt die Perspektive der Zeitgenossen ein, die von der kommenden Machtergreifung nichts wissen konnten.
Beim Schreiten durch die Jahre der Weimarer Republik beschränkt sich Jähner nicht auf die politische Geschichte Deutschlands, sondern wirft immer wieder einen genauen Blick auf die Kultur- und Sozialgeschichte des Deutschen Reichs. Es geht also um die Emanzipation und verstärkte Teilhabe beziehungsweise öffentliche Sichtbarkeit von Frauen, es geht um neue Freizeitbetätigungen, um einen gewandelten Kulturbegriff, um neue Körperlichkeit, usw.
Das Buch vermittelt einen sehr guten Eindruck von der Zeit, es beruht auf einer breiten, sorgfältig recherchierten und ausgewerteten Quellenbasis und stellt für jedermann eine lohnende Lektüre dar. Auch demjenigen, der über die Zeitläufte gut Bescheid weiß, wird das eine oder andere neue Datei nahe gebracht. Der frische Blick ist in jedem Fall die Lektüre wert.
Leseausblick auf den Juli
Auf dem Stapel der Möglichkeiten liegen unter anderem:
Liz Nugent, Auf der Lauer liegen, 2016, dt. 2022
Branko Milanović, Visionen der Ungleichheit. Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, 2023, dt. 2024
Samuel Moon, Der Liberalismus gegen sich selbst. Intellektuell im Kalten Krieg und die Entstehung der Gegenwart, 2023, dt. 2024
Andere Texte von mir:
Zwei Anthropozentriker – Heinrich Mann und Thomas Mann
Ich sah keine Welt mehr, und doch besinn' ich mich, daß sie niemals so schön war.
Das dritte Licht (Foster)
Claire Keegan, Das dritte Licht, 2010, dt. 2013 (aus dem Englischen von Hans-Christian Leser) (beide Fassungen überarbeitet 2022 und 2023), Steidl, 95 Seiten.
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